Heinz Flohe: Double-Kapitän, Idol, Genie

Am 28. Januar wäre Heinz Flohe 73 Jahre alt geworden. Nach vielen Würdigungen in der Zeit nach seinem Ableben ist es in letzter Zeit wieder ruhiger um den Ausnahmespieler des 1. FC Köln geworden. An seinem Ehrentag soll er wieder in den Mittelpunkt gerückt werden, daher hier noch einmal eine Rückschau auf seine Karriere mit einem Vorschlag am Ende von diesem Text.

Heinz Flohe war vielleicht der fußballerisch beste Spieler, den der 1. FC Köln jemals hatte. Dieser Meinung ist auch FC-Legende Karl-Heinz Thielen, der folgenden Satz prägte: Hans Schäfer war der wichtigste FC-Spieler, Heinz Flohe der talentierteste und Wolfgang Overath der bekannteste.“ Thielen kann es beurteilen, spielte er doch mit allen drei FC-Ikonen zusammen und war FC-Manager, als „Flocke“ 1978 als Double-Kapitän seinen größten Triumph feierte.

 

In keinem der genannten Vorzüge urteilt Thielen, das einer der drei „der Beste“ sei. Aber er tut es letztlich doch, bescheinigt er Flohe das größte fußballerische Talent. Umso überraschender ist es, das der 39fache Nationalspieler lange Zeit im Schatten von vielen anderen stand. Das ging so weit, das im offiziellen 60-Jahre Jubiläumsfilm, welchen der Verein 2008 selbst produzierte, viele FC-Persönlichkeiten gesondert portraitiert wurden, er hingegen nicht. Von Heinz Flohe gab es kein Portrait und im Off-Text des Sprechers wurde der Name nur einmal, als es um das Double ging, ganz kurz am Rande erwähnt. An diesem Beispiel kann man erkennen, wie wenig selbst der eigene Verein den genialen Kicker Heinz Flohe noch auf dem Zettel hatte. Eigentlich unfassbar, dass der Name des Ausnahmespielers vielen jüngeren Fans gar nicht mehr geläufig war oder bestenfalls als einer von vielen in den Statistiken auftauchte.

 

Als Fußballer eine Naturgewalt

 

Doch natürlich hatte Flohe immer seine ganz persönlichen Anhänger und diejenigen, die ihn haben spielen sehen, werden nie vergessen, welche nahezu umwerfende spielerische Naturgewalt er darstellte. Sein Gesamtpaket war herausragend. Technisch machte ihm in ganz Deutschland und auch weltweit niemand etwas vor. Sein Dribbling war schlicht perfekt, nahezu genial. Er gilt auch als erster Anwender des sogenannten „Übersteigers“, generell war sein technisches Vermögen so überragend, das er bis heute keinen Vergleich mit den weltgrößten Namen des Fußballs scheuen muss. Im Gegenteil.

 

Mit- und Gegenspieler geraten heute noch ins Schwärmen, wenn sie von seinen Kunststücken erzählen. Weiterhin waren viele Fans seinerzeit nur wegen seiner Aufwärmübungen im Stadion. Die sollen dem Vernehmen nach den bekannten Videos eines Diego Maradona sehr ähneln. Leider wurde so etwas in der Frühzeit der Bundesliga noch nicht gefilmt.

 

 

Sein Abschluss mit dem linken Fuß war enorm hart und präzise, viele seiner 130 Tore (N11, Liga, Pokal, Europapokal) waren aufsehenerregende Weitschüsse. Seine Dynamik wurde später nur noch von Lothar Matthäus in seinen besten Jahren erreicht und dazu bot Flocke auch noch einen Kämpfer par excellence an. Er war jemand, der voranging, insbesondere als er Kapitän seiner Elf war. Ein Sprinter war er zwar nicht, aber seine Grundschnelligkeit war dennoch tadellos. 

 

Unter dem Radar

 

Trotz all dieser geschilderten Meriten verblasste der Ruhm des FC-Double-Kapitäns relativ schnell. Das lag sicher daran, das sich mit Wolfgang Overath und Günter Netzer zwei ebenfalls überragende Fußballer bereits während der Spielerkarriere aufgrund ihres Alters früher in den Vordergrund spielen konnten. Noch dazu waren beide, insbesondere Netzer, deutlich geschickter im Umgang mit den Medien. Das galt für den Zeitraum während und im besonderen Maße auch nach der Karriere. Während sich Netzer zunächst als erfolgreicher HSV-Manager und später mit seiner TV-Partnerschaft mit Gerhard Delling samt gewonnenem Grimme-Preis in die DFB „Hall of Fame“ spielte, blieb Overath als FC-Präsident präsent. Flocke hingegen verschwand nach dem Ende seines Spielerdaseins selbstgewählt vom medialen Schirm der Öffentlichkeit, in der er sich nie sonderlich wohl fühlte. Den Preis dafür, dass seine eigentlich großartige Spielerkarriere mehr und mehr vom Radar verschwand, nahm er billigend in Kauf.

 

Denn letztlich war es der tragische Zusammenbruch und der spätere Tod des ehemaligen FC-Spielgestalters, der ihn zurück ins Rampenlicht brachte. Erst da besann man sich wieder eines großen Fußballers, der zwar Anerkennung und Sympathie bei den wirklichen Experten in aller Welt genoss, aber in der breiten Öffentlichkeit quasi in Vergessenheit geraten war.

 

Die Wiederentdeckung des heimlichen FC-Weltstars

 

Das alles hatte den Kölner Journalisten und Filmemacher Frank Steffan seinerzeit schon länger umtrieben. Wie viele andere Flohe-Fans war Steffan der Ansicht, das „Flocke“ viel zu tief unter dem öffentlichen Radar flog und er war der festen Absicht dies zu ändern. Mit der Dokumentation „Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“ schuf er daraufhin ein nicht nur kleines Meisterwerk, sondern setzte in der Tat durchaus einen Meilenstein im Bereich der Fußball-Dokumentationen. Die Presse feierte bundesweit den emotionsgeladenen Film, unter anderem stellte die „Süddeutsche Zeitung“ die berechtigte Frage: „Nach 104 Minuten in der Welt von Heinz Flohe bleibt einzig die Frage: Warum gibt es in Deutschland nicht mehr Sportfilme dieser Art?“

 

Frank Steffan hat den Streifen auf vielen Veranstaltungen und in den Kinosälen gezeigt und jedes Mal gab er die Antwort auf diese Frage: „Das Drehbuch hat Heinz Flohe selbst geschrieben, eben durch seine Art Fußball zu spielen und zu leben.“  Mit anderen Worten: Der Film konnte nur deswegen so herausragend werden, weil der Fußballer und Mensch Flohe so herausragte.

 

Letztlich hat wohl nur jemand wie Frank Steffan gefehlt, der dies in Szene setzen konnte. Denn bei allen Fähigkeiten auf dem Platz, die Gabe der Selbstinszenierung fehlte Flohe gänzlich. Dies war wohl auch der Grund, warum ihm trotz aller genannten Vorzüge in seiner Zeit wenig Anerkennung wiederfuhr. Jedenfalls nicht die, die er gemessen an seinem Vermögen verdient gehabt hätte.

 

Dreifacher Torschütze, aber medial gefeiert wurde ein anderer

 

 

Ein kleines Beispiel aus seiner aktiven Zeit belegt dies. Der 1. FC Köln spielte im Frühjahr 1974 in der Fußball-Bundesliga gegen den Lokalrivalen Fortuna Köln. Die Fortuna hatte seinerzeit viele Anhänger in Köln gefunden, der Aufsteiger aus der Südstadt rüttelte ein wenig am Thron des großen Effzeh, der gerade nicht seine beste Phase hatte. Aber in diesem Spiel zauberte Heinz Flohe ganz besonders, erzielte drei fulminante Treffer, darunter eines ohne Übertreibung der Marke Tor des Jahrzehnts. Dazu bereitete Flohe noch einen weiteren Treffer vor. 

Ein anderer FC-Spieler war eher am Rande am großen Erfolg beteiligt. Kölns Star hieß nämlich damals Wolfgang Overath, der aber in dieser Phase schon länger in einer tiefen Formkrise steckte. In jenem Spiel aber wurde Overath mitgerissen und er konnte sich erheblich steigern, wenn man die teils wirklich schlechten Vorwochen im Hinterkopf hatte. Dennoch muss man klar sagen, in diesem Match war Overath eher Mitläufer.

 

Das innerstädtische Duell war auch für die überregionalen Medien interessant, eventuell roch es nach einer Sensation des Kleinen gegen den Großen. Das ZDF war vor Ort und sendete mit Dieter Kürten sogar seinen damaligen Star-Sprecher und Moderator. Dieser war mit Overath durch die Jahre in der Nationalelf gut bekannt und sogar lose befreundet. Kürten unterlegte seinen Schluss-Kommentar dann mit der Bemerkung, dass man „zwar auf den ersten Blick meinen könne, das Heinz Flohe der Spieler des Spiels sei, aber in Anbetracht der bemerkenswerten Steigerung eigentlich Wolfgang Overath dieses Prädikat zustehen würde.“

 

Mit der Realität hatte diese Aussage natürlich wenig zu tun. Kürten galt immer als smart und war in der Breite sehr beliebt und es ist auch heute noch. Durchaus zu Recht! Aber als exorbitanter Kenner und Experte, der in die Tiefe ging, galt er nicht. Hier wurde also eher der verunsicherte Star-Spieler und „Buddy“ gestützt, der nach eigener Aussage ob seiner Formkrise kurz davor stand die WM 1974 im eigenen Land abzusagen. Die Leistung Flohes wurde einmal mehr medial relativiert, nach dem Motto: Na ja, der hatte halt auch mal einen guten Tag.

 

Der Mann hinter Overath

 

Diese einzelne Beispiel-Anekdote soll nur verdeutlichen, wie viel Einfluss die Medien bereits in den frühen Jahren der Bundesliga hatten. Flohe war sicher ein anerkannt guter Spieler, Ja! Aber eben der Mann hinter Overath. Es ging sogar so weit, dass Flohes technische Brillanz nicht selten als „brotlose Kunst“ abgetan wurde. Insbesondere wenn es mal nicht gut lief, war die Kritik der Medien gerade an Flohe recht gnadenlos.

 

Die Frage, wer von den beiden denn nun der bessere Fußballer war, hatte Thielen indirekt bereits beantwortet. Sie ist aber nicht endgültig und generell schwierig zu beantworten. Der junge Overath galt als eine Offenbarung, ein unfassbares Talent, der vor allem die Spielmacherposition mehr und mehr ausfüllte. Technisch sehr stark beschlagen, schnell und vor allem mit einer großen Spielübersicht ausgestattet schlüpfte der Siegburger schnell in die Rolle des Chefs, die Rolle, die zuvor der „Held von Bern“ – Hans Schäfer – beim FC innehatte.

 

 

Vor allem hatte Wolfgang Overath schon früh einen festen, starken Willen und einen unbändigen Ehrgeiz. Nach seinen ersten Erfolgen auf nationaler (Meisterschaft 1964) und internationaler Ebene (WM-Endspiel 1966) galt Overath als DER Star des Effzeh … und dieser Rolle war sich Overath bereits sehr früh bewusst. Schon in jungen Jahren wurde das Spiel auf ihn ausgerichtet und er war auch durchaus in der Lage von seinen Mitspielern Loyalität in aller Deutlichkeit einzufordern. 

Overath & Flohe – Ein FC-Mittelfeld für die Ewigkeit

 

Heinz Flohe kam 1966 zum FC, da war Overath bereits der große Starspieler und das Versprechen auf eine goldene FC-Zukunft. Von seinen Fähigkeiten her konnte Flocke direkt mithalten, technisch war er sogar – wohl als einziger deutscher Spieler - noch versierter als Overath. Aber auf den anderen Ebenen fehlte dem über vier Jahre jüngeren Euskirchener Jungtalent doch noch einiges. Aber an der Seite Overaths, dem er sich zunächst unterordnete, konnte das Talent gedeihen. Flohe profitierte also auch von Overath, beide respektierten sich und verstanden sich auf dem Platz zeitweise blind. Bei einem 4:3 Sieg über Bayern München, traf Overath nach einem doppelten Doppelpass mit Flohe. Die Abwehr des Europapokalsiegers der Landesmeister um Meier, Beckenbauer  & Co. sah dabei aus wie ein überfordertes Schülerteam. Solche Szenen waren keine Seltenheit. Es war Spektakel pur! Kreativität und Kunst in Reinkultur.

 

Über die Jahre wurde Flohe selbstbewusster und vollbrachte auf seiner Position die unfassbarsten Kunststücke. Doch das Spiel lenkte weiterhin Overath, einen „Du oder ich, einer von uns beiden ist zu viel“ Wettbewerb hat es nie gegeben, weil Flohe seine Rolle akzeptierte und sie individuell auslebte. Er machte sein eigenes Ding, war ein glänzender Solist, der aber auch mit Overath perfekt harmonieren konnte. Im Zusammenspiel waren sie an guten Tagen ohne jegliche Übertreibung ganz sicher eines der besten Mittelfeld-Duos dieses Planeten. Wenn sie ins Rollen kamen, dann war kein Gegner auf der Welt stark genug, hier Paroli zu bieten.

 

Kreativste FC-Phase, doch die Titel holten andere

 

Doch leider war das Gesamtpaket des 1. FC Köln in den frühen 70er Jahren schlicht zu inkonstant. Großen Triumphen über die Bayern, den HSV oder auch Gladbach folgten oftmals unerklärliche Schlappen bei den sogenannten Kleinen. Der FC, vor jeder Saison Mitfavorit auf die Meisterschaft, brachte die PS nicht vollends auf die Straße. Immer leistete man sich während der Saison unerklärliche Schwächephasen, sehr oft zum Saisonbeginn. Trotz beeindruckender Aufholjagden war dies in der Folge nicht mehr zu kompensieren. So war man zwar Dauergast im UEFA-Cup, aber die Titel fehlten. Gleich drei verlorene DFB-Pokalendspiele zwischen 1970 und 1973 taten ihr Übriges.

 

In einer Zeit, als der FC sich durchaus zu den Top-Mannschaften in Europa zählen durfte, fehlt es der Mannschaft am endgültigen Killergen für eine lange Bundesliga-Serie oder für die ganz entscheidenden Spiele. Die ebenfalls gut besetzten Teams  aus Bayern und Mönchengladbach sahnten die Titel ab, weil sie schlicht konstanter waren. Der FC hingegen schmückte sich ungewollt mit der Titelzeile „Die Diva vom Rhein“.

 

Noch heute wird unter den Zeitzeugen darüber diskutiert und auch gestritten, woran diese Titel-Phobie lag. Das Personal war mindestens so gut wie das der Konkurrenz. Viele Fans urteilen, nicht ganz zu Unrecht, das man lange Zeit einfach keinen Trainer von Spitzenformat hatte, der das nicht ganz einfache Team leiten konnte. Erst ein Hennes Weisweiler zeigt sich der Aufgabe gewachsen.

 

Wurde die Machtfülle Overaths zum Problem?

 

Auch der Verdacht, dass die damals unumstrittene Autorität des Stars Wolfgang Overath einfach zu groß und zu selbstverständlich war, scheint nicht ganz unberechtigt. Viele alte Medienberichte und auch Zeitzeugen belegen heute eine absolut nicht mehr denkbare Machtfülle Overaths. Top-Torjäger Dieter Müller erklärte im effzeh.com Interview seinerzeit wie oft Overath Trainer Cik Cajkowski vor versammelter Mannschaft verbal abkanzelte. Auch zu den verpassten Meisterschaften hatte Müller eine klare Meinung. „Wir waren zwar immer im Europapokal, aber den ganz großen Coup haben wir da noch nicht geschafft. Erst, als Weisweiler kam, änderte sich das“  deutet Müller zunächst an, dass es einen starken Trainer brauchte, um den FC titelfähig zu bekommen.

 

Weiter stellte er fest, das „ Wolfgang Overath war sicher einer der größten Fußballer, mit denen ich gespielt habe. Aber er war natürlich als Mensch nicht ganz unproblematisch, weil er schon ein Egoist war. „Flocke“ war mehr der Teamspieler, der von allen geliebt wird.“ Im weiteren Verlauf des Interviews bestätigt Müller noch die Machtfülle des Stars: „Wenn sich jemand gegen ihn gestellt hat, dann gab es mit Wolfgang schon Probleme.“

 

 

Die Verdienste von Wolfgang Overath für den 1. FC Köln sind und bleiben unbestritten. Doch darf man schon aus der heutigen Position konstatieren, dass der Verein schlicht zu lange und zu viel Machfülle zugelassen hat. Die zu lange selbstverständliche Alleinherrschaft des Regisseurs hatte das Spiel des 1. FC Köln, trotz der immensen Fähigkeiten eines Wolfgang Overath, zu ausrechenbar gemacht. Vor allem in seinen späteren Jahren vermochte der Weltmeister von 1974 dem Verein nicht mehr die Impulse zu geben, die ein aufstrebender Heinz Flohe wohl bereits ab 1973/1974 hätte geben können. 

Flohe für Deutschland – Da war mehr drin

 

Denn längst hatte Flohe sein Spiel verfeinert und enorm verbessert. In der Saison vor der Heim WM war er der mit Abstand formstärkste deutsche Mittelfeldspieler. Die Form Overaths vor dem Turnier wurde bereits angesprochen, der vermeintlich größte Overath-Konkurrent in der Nationalelf – Günter Netzer - war 1974 ebenfalls in einer schlechten Verfassung. Flohe hingegen brillierte, war aber lange Zeit von Bundestrainer Helmut Schön im Unklaren gelassen worden, ob er zur WM darf. Am Ende war er dabei und spielte drei Matches, wurde aber im Finale nicht eingesetzt. Dennoch ist Heinz Flohe Weltmeister geworden, auch wenn er das selbst nie so sah.

 

Damit ist auch ein weiteres Problem in Flohes Karriere benannt. Zwar landete Flohe schnell in den Kreis der Auserwählten des Landes, aber die Chemie zwischen Bundestrainer Helmut Schön und dem genialen Linksfuß stimmte nicht. Der Kultur- und Klassik liebende stille Schöngeist aus Sachsen und der gesellige Rheinländer, der noch dazu ein Fan des Boxens war, sie waren sich vom ersten Tag an fremd. Hinzu kam eine fast schon manische Medienaversion Flohes, der sich nach einem Interview im Sportstudio mit Dieter Kürten so unwohl fühlte und das auch offen zeigte, dass er alle Anfragen dieser Art in der Folge absagte. Die Folge war, Flohes oft herausragende Leistungen wurden nicht in der Form wahrgenommen, wie sie medial verarbeitet worden wären, gäbe der „Typ“ mehr her. Ein Günter Netzer sorgte alleine durch seine außerfußballerische Präsenz für mehr Aufsehen. Flohe hingegen hatte schlicht keine Lobby und es gab auch niemanden in seinem Umfeld, der ihn über die Wichtigkeit dieses Umstands aufgeklärt hat.  So war zum Beispiel gänzlich „ungeschützt“, als man bei der Heim-WM der DDR unterlag und er in der Folge trotz ordentlichem Spiel als einer der Sündenböcke ausgetauscht wurde.

 

Fehlende Medienlobby & Verletzungen

 

So wurden weiter die Stars aus München und Mönchengladbach gehyped, insbesondere die BILD Zeitung profitierte vom guten Verhältnis zu den Stars namens Beckenbauer und Netzer, die die Klaviatur der Medien natürlich nutzten und auch in der Nationalelf wie selbstverständlich von ihren Vereins-Mitspielern umgeben waren. Der Bundestrainer bevorzugte daher die Blockbildung und so schafften es nur einzelne Ausnahmen wie eben Wolfgang Overath oder Jürgen Grabowski in die Phalanx der omnipräsenten Vereine aus München und Mönchengladbach.

 

Für Flohe war also selten Platz in der DFB-Auswahl, obwohl er spielerisch so gut wie alle überragte. Für viele Beobachter ist das bis zum heutigen Tag schwer zu verstehen, seine Anzahl von 39 Länderspielen wird gemessen an seinen Fähigkeiten nahezu als schlechter Witz angesehen, auch wenn er damit sogar zwei Länderspiele und auch zwei Tore mehr aufzuweisen hat, als ein Günter Netzer. Die Gründe dafür liegen allerdings nicht nur am gestörten Verhältnis zum Bundestrainer. Auch Verletzungen spielten eine Rolle, u.a. verhinderten sie seinen geplanten ersten Einsatz schon im Jahr 1968, das Debüt verschob sich daraufhin bis nach der WM 1970. Auch später hatte Flohe erhebliche Ausfallzeiten zu beklagen, insbesondere seine Rückenprobleme, die lange Zeit sogar ein frühes Karriereende befürchten ließen, spielten eine Rolle. Dazu gab es in der Ära der Siebziger weitaus weniger Länderspiele im Jahr als in der Gegenwart.

 

Seiner Zeit weit voraus – Flohe, ein Unverstandener?

 

Die bisher genannten Gründe sind auch nur Ansätze. Es gibt sicher noch einen anderen Umstand, der eine größere Rolle spielte, als man denkt. Heinz Flohe war ein „Unverstandener“, er war nämlich als Spielertyp seiner Zeit weit voraus!

 

 

Zur Einordnung: In den späten 60er Jahren galt vor allem Wolfgang Overath als der Prototyp des modernen Mittelfeldspielers. Lange Bälle, oft zentimetergenau waren die Spezialität des Kölners, Kaum jemand spielte diese Pässe so brillant wie die Nummer 10 aus Köln. Lediglich einer rückte ihm mit der Zeit näher und schaffte irgendwann Anfang der 70er „Augenhöhe“: Günter Netzer! Fortan galten gerade die beiden als die besten Spielmacher des Landes, aber auch weltweit wurden diese Namen immer genannt, wenn es darum ging, wer im Mittelfeld über eine ganz besondere Klasse verfügte. 

Heinz Flohes Spiel war anders, heute würde man sagen: Moderner! Zu seinen enormen technischen Fähigkeiten gesellte sich nämlich eine extrem dynamische Form des Mittelfeldspiels, die heute noch Anklang finden würde. Flohe vereinte zusätzlich in sich zudem den Künstler und den Kämpfer. Eine ausgesprochen seltene Kombination. Er spielte eher den kurzen, tödlichen Pass. Kombiniert mit seinen Fähigkeiten im Dribbling war er in der Lage Situationen im Mittelfeld zu schaffen, die für den Gegner schwer zu lösen waren. Das Auge für den freien Mitspieler hatte er dennoch, ein Umstand den viele reine Dribbelkünstler vermissen lassen. Insofern war er in der Lage sich in aussichtreiche Positionen zu spielen, die er entweder mit einem gewaltigen und präzisen Abschluss krönte oder eben um einen Mitspieler „in die Gasse“ zu schicken.

 

Da in der Position des Spielgestalters zumeist Overath zu finden war, konnte er diese Form des Spiels nur selten in der Gänze präsentieren. Erst nach Overaths Abgang hatte Flohe Zeit, sich auf dieser Position zu bewähren. Als Ergebnis draus holte der 1. FC Köln 1978 das Double!

 

Double-Kapitän Heinz Flohe – Erster unter Gleichen

 

 

Eine besondere Gabe war letztlich auch die Leadership des Euskircheners. Overath hatte die Spielmacher- und Regisseur-Rolle eingefordert, sie auch vom Verein zugesprochen bekommen und lebte sie quasi diktatorisch aus. Über ein Jahrzehnt lang war er der alles bestimmende Alleinherrscher am Geißbockheim. Gut gelitten und respektiert war er im Team hauptsächlich aufgrund seines großen spielerischen Vermögens. Bei Flohe war das anders, dieser war eher der Kumpeltyp, mit dem man die sprichwörtlichen Pferde stehlen konnte. Mit Overath mal „einen trinken gehen“? Nein, dafür war der Weltstar und Asket nicht zu haben, weil es schlicht nicht seiner Persönlichkeit entsprach. Mit „Flocke“ ging das schon viel eher, dieser ging auch in der sprichwörtlichen dritten Halbzeit schon mal steil, übertrieb es dabei aber nie. Seine vom Boulevard gerne aufgegriffenen Besuche in der kölschen Rotlichtszene gab es sicher, spielten sich aber zumeist nach seiner Fußball-Karriere ab. Da wird gerne etwas übertrieben. Aber er war schon immer vorne dabei, wenn es mit den Kollegen und Mitspielern etwas zu feiern galt. 

Als Overath nicht mehr das Zepter schwang, wurde Flohe auch wie selbstverständlich zum Kapitän gewählt. Anfangs hatte diese Rolle dem sensiblen Techniker noch Probleme bereitet, doch mit der Zeit etablierte er sich als „Erster unter Gleichen“, als einer der voran ging, der sich auch für Drecksarbeit nicht zu schade war. Anders als Overath konnte Flocke auch mal die Grätsche auspacken.

 

Er hatte sich über die Jahre eben weiter entwickelt und die Rolle als Spielgestalter war sicher auch dem Reifeprozess geschuldet. Allerdings, hätte man diese Form beim FC etwas früher ausprobiert und im Mittelfeld etwas mehr „Demokratie gewagt“, dann wäre man wohl weniger ausrechenbar gewesen. Doch dazu kam es nicht und beweisen, dass es automatisch Erfolg gebracht hätte, kann man auch nicht.

 

Nach dem Double-Triumph das schnelle Ende

 

Allerdings waren Jahre vergangen und auch „Flocke“ war nicht jünger geworden. Im Double-Jahr feierte er bereits seinen 30. Geburtstag. Seinerzeit galt die Dreißig als magische Grenze im Fußball. Es war der Zeitraum, bei dem viele Spieler quasi einen Schritt vor dem Karriereende standen. Es gab natürlich Ausnahmen, aber in der Summe waren dies bei weitem nicht so viele Spieler wie heutzutage, die auch jenseits der 30 noch für lange Karrierejahre planten.

 

Man kann heute darüber diskutieren ob die Ablösung Overaths – über die wenig stilvolle Art und Weise soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden - zu spät erfolgte. Aus Flohes Sicht kam sie gerade noch rechtzeitig, aber es blieb nicht mehr viel Zeit, die Ernte für ein langes Warten auf die richtige Position einzufahren. Doch wie so oft in Flohes Karriere machten Verletzungen dieser Planung ein Ende. Die WM-Verletzung aus dem Turnier im Jahr 1978 schleppte Flohe die ganze Saison 1978/79 mit durch, der Verein verpasste unglücklich das Finale um den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) und nach einem schlechten Spiel mit roter Karte wurde Flohe suspendiert. Ein himmelschreiend ungerechtfertigter Akt von Trainer- und Vereinsführung, der letztlich zum unwürdigen Wechsel zum Ligakonkurrenten 1860 München führte. Ein bis heute kaum nachvollziehbarer und unverzeihlicher Fehler.

 

 

Der Rest ist nur allzu bekannt, die schwere Verletzung nach Paul Steiners Horror-Foul beendete die Karriere des begnadeten Fußballers und leitete eine lange Phase mit gesundheitlichen Problemen ein. 2010 brach Flohe auf offener Straße zusammen, fiel drei Jahre in ein Wachkoma und wurde am 15. Juni 2013 schließlich von seinen Leiden erlöst. 

Das Erbe des Heinz Flohe

 

Sieben Jahre nach seinem Tod ist „Flocke“ nun nicht mehr der vergessene Spieler, der er leider auch hier im Raum Köln in der breiten Öffentlichkeit viel zu lange war. In Köln und Umgebung gilt er jetzt als „gesetzt“, wenn es um die größten Spieler des Vereins geht. Er gehört zu den „großen Drei“, die Thielen nannte: Schäfer, Flohe, Overath! Das ist das FC-Dreigestirn für die Ewigkeit!

 

Es ist daher auch kein Zufall, dass gleich drei Denkmäler für ihn in kürzester Zeit entstanden. Einmal in Form eines echten Denkmals, welches der Kölner Künstler Anton Fuchs entwarf. Seit 2014 ist der Platz hinter der Südkurve nun Flohes Heimat geworden. Unzählige Fans haben sich bereits mit ihm fotografieren lassen. Sein Ehrenmal gilt als Treffpunkt („Wir treffen uns beim Flocke …“), was wunderbar passt, war Flohe doch immer schon einer der Fannähe lebte. Alleine schon deswegen kann er nicht mehr in Vergessenheit geraten.

 

 

Dass alles nicht nur Einbildung war oder Überhöhung war, beweist das Film-Denkmal, welches Frank Steffan mit seiner emotionalen Dokumentation erschaffen hat. Der Film „Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“ lässt Flohes unglaubliche Spielkunst visuell noch einmal aufleben. Jedem Fußballfreund lacht das Herz im Leib, wenn man die spektakulären Spielszenen bestaunt. Ebenso bestätigen die prominenten Zeitzeugen die Einzigartigkeit Flohes. 

Laut Franz Beckenbauer „gehörte er zu den besten Technikern der Welt.“ Auch Günter Netzer zeigte sich beeindruckt: „Er ist so unglaublich gut gewesen, hat Dinge gemacht, die keiner von uns konnte, auch die ganz großen Spieler Deutschlands nicht.“ Jupp Heynckes sah in Flohe „einen Artisten, einen Brasilianer.“ Bei ihnen hat es nie eine Frage gegeben, dass er zu den ganz großen deutschen Spielern gehörte. Auch Wolfgang Overath, der sich übrigens als FC-Präsident stark für Flohe und seine Familie während des Wachkomas einsetzte, bestätigte, „das Flocke kein System gebraucht hat und aufgrund seiner außerordentlichen Fähigkeiten in jeder Mannschaft hätte bestehen können.“

 

Auch der 1. FC Köln hat längst erkannt, dass der Name Heinz Flohe Pate stehen muss. Nämlich für die Jüngsten, den Nachwuchs, den er inspirieren soll. Die FC-interne Fußballschule trägt somit seit einigen Jahren seinen Namen. Flohes fast kindliche Freude am Entwickeln von verblüffenden Tricks hatte ihre Basis in seinem Naturtalent und das exzessive Ausleben könnte durchaus daran gelegen haben, dass er diese Phase unterbewusst als Fortsetzung seiner unbeschwerten Kindheit betrachtete. Insofern hätte es wohl kaum einen besseren Namensgeber als ihn geben können.

 

Heinz Flohe gehört in die „Hall of Fame“ des DFB

 

 

Bundesweit hat vor allem der Film für Furore gesorgt. Nicht nur, weil er 2014 zur besten deutschen Produktion beim renommierten Fußballfilmfestival 11mm in Berlin gewählt wurde. Auch im deutschen Bundestag, in Hamburg, München, Dortmund und in vielen anderen Orten jubelten Fußballfreunde jeglicher Vereinszugehörigkeit über Flohes Darbietungen im Film. 

Es zeigte sich, dass der Fußballer Heinz Flohe vereinsübergreifend viele Fans in ganz Deutschland hatte. Und wenn man mal ein wenig in YouTube Kommentarspalten schaut, dann fallen Bewertungen wie „My favorite german player“ oder „Most underrated player of the world“ auf. Diese Aussagen kommen aus Spanien, England, Mexiko und vielen anderen Ländern. Seine Spielweise, ja Spielkunst war weitaus mehr Menschen aufgefallen, als man meint. Selbst in einem Gladbacher Forum sind Ausdrücke wie „Geliebter Feind, was konnte der Fußball spielen“ oder „Ein Gigant!“ zu finden.

 

Ein solch überbordendes Fußballtalent wie Heinz Flohe gehört in die „Hall of Fame“ des deutschen Fußballs. Er hat es eben trotz widriger Umstände zu großen Titeln wie Weltmeister, Vize-Europameister, Deutscher Meister und dreifacher DFB-Pokalsieger gebracht. Vor allem aber hat er die  Herzen der Fußball-liebenden Menschen mit seiner Kunst berührt. Dies ist vielleicht sein größter Erfolg, denn auch über 40 Jahre nach Karriereende erinnern sich die Zeitzeugen an einen der außergewöhnlichsten Kicker der deutschen Fußballgeschichte. Zumeist mit Glanz in den Augen.

 

Wirklich vergessen war er trotz allem nämlich nie und so wird er nach und nach wieder ins rechte Licht gerückt und nun endlich auch von einer breiteren Öffentlichkeit wiederentdeckt. Auch heute, an seinem 73. Geburtstag.

 

 

Happy Birthday, Idol!