KRAFTWERK in Bonn - Nach 47 Jahren endlich live

Bericht zum KRAFTWERK-Konzert in Bonn

Achtung & Vorsicht! In dem nun folgenden Bericht wird viel "ultimative Lobhudelei" geboten. Es geht schließlich um das Live-Konzert der Gruppe KRAFTWERK, die am Sonntag, den 28.8.2022 auf der Bonner Hofgartenwiese ihr 50-jähriges Bestehen aus dem Jahr 2020  nachfeierte. Dank des „hohen C“  musste dies seitdem mehrfach verlegt werden. Nun ging es über die Bühne und ich als sehr großer Sympathisant durfte dabei sein. Endlich! 

Rückblende:  Am 12. Mai 1975 stieg erstmalig ein völlig neuer Sound in die deutschen Charts ein. In dem von Schlagermusik a´la Michael Holm und Howard Carpendale dominierten Land klang der deutsche Song „Autobahn“ komplett schräg & sphärig und fiel dadurch sofort auf. „Fahr´n, fahr´n, fahr´n auf der Autobahn“ sangen die Herren aus Düsseldorf etwas monoton, was die Amis übrigens komplett missverstanden hatten. Sie glaubten „Fun, Fun, Fun“ aus dem Song heraus zu hören und dachten sich, KRAFTWERK sei die deutsche Antwort auf die Beach Boys. Jedenfalls wurde das Lied in den Staaten so erfolgreich, dass man auch in Deutschland endlich verstand, das zuvor schon im eigenen Land gefloppte Lied könnte ja vielleicht doch ganz gut sein. 

 

Wie auch immer, als ich „Autobahn“ erstmalig hörte, war für mich eines klar: „Das ist der Sound der Zukunft!“ Nix mehr mit The Sweet, The Bay City Rollers oder Smokie. Nun denn, ich wurde mit meinen gerade mal elf Jahren für diese These eines gänzlich neuen Styles in der Musik schräg angeschaut oder milde belächelt. Man hielt das komische, aber dennoch recht eingängige Werk für ein One-Hit Wonder von ein paar schrägen, steifen Typen (heute würde man sie wohl "Nerds" nennen), die ein wenig mit technischem Kram der Marke Eigenbau herumgeklimpert hatten. 

 

Doch mit der Zeit änderte sich das dramatisch, denn KRAFTWERK legten nach. Schon die LP „Radio-Aktivität“ aus dem Jahr 1975 enthielt weitere Klassiker, wie den heute allseits bekannten Titelsong gleichen Namens sowie die schon fast New Wave artigen Song „Antenna“ (Antenne). Das Album schnitt in den deutschen Charts jedoch schwächer ab als „Autobahn“, so ganz verstanden hatten die Deutschen ihre Landsleute immer noch nicht. Das lag wohl auch an dem einen oder anderen seltsam klingenden Song auf der LP, denn "Die Stimme der Energie" war dann doch zu weit weg vom Mainstream a´la der George Baker Selection und "La Paloma Blanca" (Song des Jahres 1975). Doch längst lauschten vor allem Engländer, aber auch Amerikaner dem, was die deutschen Pioniere - zu denen auch Ex-Kraftwerker wie Michael Rother und Klaus Dinger (beide bekannt aus „NEU!“) gehörten - auf ihre Vinyl-Rillen pressten. 

Anfangs unverstanden - vor allem in Deutschland

 

Auch der Nachfolger „Trans Europa Express“ schaffte es 1977 im eigenen Land nicht, in die Top 10 der Album-Charts vorzudringen. Im Gegenteil, es schnitt schwächer ab, als die beiden Vorgänger und „Der Spiegel“ bezeichnete die Scheibe leicht angewidert gar als „Futuristen-Kitsch“.  Allerdings schaffte es die Gruppe nun mehr und mehr als Inspiration für so ziemlich alle Musik-Interessierten außerhalb der Bundesrepublik wahrgenommen zu werden. In den USA genoss besonders der Titeltrack im Underground vor allem bei amerikanischen Jugendlichen in den frühen 1980er Jahren große Popularität. 1982 samplete Afrika Bambaataa in seinem Lied Planet Rock die Melodie von "Trans Europa Express". Daher gilt KRAFTWERK als die Band, die durch ihren Einfluss die Anfänge des Hip-Hop mit ermöglichte. 

 

Mit „The Man Machine“ im Jahr 1978 und „Computerworld“ im Jahr 1981 folgten die wohl absoluten Höhepunkte ihres Schaffens, viele Songs aus diesen beiden Platten sind bis heute zeitlose Klassiker und begeisterten vor allem die Insider. In der Masse jedoch wurde das Phänomen KRAFTWERK trotz erheblicher Verbesserung in der Wahrnehmung nicht gänzlich angenommen. Lediglich "Computerworld" schaffte es in die Top Ten der Albumcharts (Platz 7). Aber um es abzukürzen, KRAFTWERK etablierte sich dafür als DIE Inspirationsquelle für das folgende Jahrzehnt, denn die 80er wären ohne den Beitrag der Band aus dem legendären Kling-Klang Studio musikalisch ganz anders abgelaufen. Zahlreiche Musiker und Bands nennen KRAFTWERK als ihre Inspiration, als da wären: David Bowie, Dr. Dre, Joy Division, Björk, The Human League, Depeche Mode, Duran Duran, OMD, Alphaville, Moby, Ultravox, New Order, Coldplay und auch Rammstein sowie noch viele andere. Vom Einfluss auf die spätere Techno-Szene (bis heute!) muss man gar nicht erst anfangen.

Wegen ihrer genialen und in meinen Ohren zeitlos schönen Musik, aber auch aufgrund ihrer Stellung gehören KRAFTWERK für mich neben Pink Floyd zu den größten, was die Musikszene jemals hervorgebracht hat. Grammys ( Lebenswerk & Bestes elektronische Album) sowie die Aufnahme im Jahr 2021 in die "Rock´n Roll Hall of Fame" (aufgrund ihrer Bedeutung für die Rockmusik in die Kategorie „Frühe Einflüsse“) belegen das. 

 

Nun endlich, gut 47 Jahre nach dem ersten Hören des Songs „Autobahn“ ergab sich für mich die Möglichkeit, diese legendäre Formation nun „live“ zu sehen. Das mit dem mittlerweile 76jährigen Ralf Hütter nur noch ein Mitglied aus der Gründerzeit dabei ist, spielt dabei nur eine nebensächliche Rolle. Dennoch war es schön, ihn doch recht vital an seinem Keyboard zu sehen. Leider ist Florian Schneider, zweites wichtiges Mastermind der Musik-Legenden, im April 2020 verstorben. Zu diesem Zeitpunkt war er aber bereits aus der Band ausgestiegen. Doch um persönliches und individuelles ging es bei KRAFTWERK ja eh nie, die Künstler treten ganz bewusst hinter der Musik zurück. Daher befürchten viele, sicher nicht zu Unrecht, das es langweilig sein könnte, ein Konzert der Gruppe zu besuchen. Letztlich stehen vier ältere Herren in merkwürdigen Neoprenanzügen an Pulten nebeneinander und drehen an ein paar Knöpfen. Es gibt keine Gitarrensolos, keine waghalsigen Sprünge von einem Frontsänger wie Mick Jagger in seinen besten Zeiten. Auch sonstiges, typisches Verhalten einer live performenden Band sucht man vergebens.

Vier Herren stehen stoisch nebeneinander, dennoch keine Langeweile

 

Doch deswegen wird das Konzert zu keiner Sekunde langweilig. Im Gegenteil! Die sich beständigen ändernden und zur Musik passenden Video Projektionen, die noch dazu in 3D über die kompletten Reihen des Publikums strömen, verbreiten zu jeder Zeit Gänsehaut-Atmosphäre. Es versteht sich von selbst, dass der Sound geradezu chirurgisch und kristallklar rüberkommt. Zumindest wenn man einen guten Platz erwischt hat. Dabei wummern die Bässe extrem, und ja ... sind auch laut, aber zu keiner Weise Zeit aufdringlich oder unangenehm. Absolute CD-Qualität, wenn nicht besser … nun ja, jedenfalls stimmt die Anlage. Die vier Perfektionisten auf der Bühne haben wirklich nichts dem Zufall überlassen.

 

Immer wieder sind Begeisterungsstürme des Publikums wahrzunehmen, vor allem als manch besonders gelungene Videoprojektion, wie z.B die Internationale Raumstation oder ein UFO über den Köpfen der Beteiligten hinwegfegte. Bei dem Song „Mensch-Maschine“ wurden die Boxen wohl einem besonderem Belastungstest ausgesetzt, den sie aber anstandslos bestanden. Man merkte das vor allem daran, dass einem urplötzlich die Hosenbeine flatterten und das T-Shirt förmlich nach hinten gezerrt wurde. Untermalt wurde das von diesem Grummeln im Bauch, welches jedoch angenehm empfunden wurde. Gänsehaut  … und das nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal. 

 

Die Auswahl der Songs kann man als gelungen bezeichnen. Klar, einige Songs wie z.B. „Showroom Dummies“ oder „Europa Endlos“ und „Taschenrechner“ fehlten. Aber man kann nun mal nicht alles haben. Bei einem meiner persönlichen Lieblingslieder - Trans Europa Express -  hätte ich mir bei dieser treibenden Nummer etwas mehr Geschwindigkeit und Dampf gewünscht. Dennoch kam die Performance auch dieses Songs perfekt rüber, hier zu meckern, wäre Jammern auf ganz hohem Niveau gewesen. Insgesamt wurden die Lieder mitsamt der Klassiker deutlich modernisiert rübergebracht. Auch dies war in den meisten Fällen ein Gewinn.

Vieles "drum herum" optimal

 

Zu den Begleitumständen des Konzerts kann man neben dem tollen und genau passenden Wetter für ein Open-Air Konzert (nicht zu warm, nicht zu kalt) noch zusätzlich lobende Worte finden. Vor Ort war vor allem das Platzmanagement gut organisiert. Eine Sache, die für mich hohe Priorität genoss, da ich unter Platzangst leide. So hatte ich Sorge, das man eventuell zu viele Menschen einlässt, wie ich es bereits auf manchen Konzerten erlebt habe. Mein Bruder und ich waren zur Vorsicht frühzeitig angereist und konnten uns daher nach Einlass um 18 Uhr einen Platz vor der Bühne sichern. Die Organisation legte dann aber Wert darauf, diesen vorderen Bereich nicht zu voll werden zu lassen. Es wurde ab einer bestimmten Menge keiner mehr eingelassen, so dass jeder Besucher relativ gut Platz um sich herum hatte. Es war somit zwar voll, aber eben nicht überfüllt. Nun konnte ich beruhigt aufatmen, denn eine Panikattacke hätte wirklich keiner vor Ort gebraucht. 

 

Wir standen somit wirklich gut und hätten sogar noch deutlich weiter nach vorne gehen können. Wir haben aber letztlich darauf verzichtet, auch das Weiße in den Augen von Ralf Hütter  erkennen zu können. Uns war es wichtiger, die visuellen Effekte der ausgeklügelten Videoprojektionen gut wahrnehmen zu können. Die vier Bandmitglieder konnten wir trotzdem noch sehr gut erkennen. 

Was hätte man 1975 wohl gesagt, wenn man 47 Jahre später solche technischen Möglichkeiten hat 

 

Und Ja, … ich gestehe, das ich der Versuchung nicht widerstehen konnte und mit meinem Mobil-Telefon einige Aufnahmen (siehe YouTube Video oben) während der Live-Performance gemacht habe. Normalerweise gilt dies nicht ganz zu Unrecht als eine Art moderne Seuche bei Konzerten. Aber mir war es nun mal sehr wichtig, zusätzliche Eindrücke von diesem einmaligen Erlebnis mitzunehmen. Man kann es aber so sehen, das es auch KRAFTWERK like war, dies zu tun. Schließlich war und ist diese Band immer zukunftsorientiert ausgerichtet und sie gelten als Pioniere in Sachen Technik. Sie hätten es 1975, als sie mit "Autobahn" die Charts erreichen, bestimmt lässig gefunden, wenn man in ferner Zukunft mit einem modernen Telefon und Personal Computer in einem ihr Konzert im Jahr 2022 aufzeichnet. Was damals Science Fiction war, ist heute nun mal Realität. Deswegen plädiere ich in diesem Falle auf "nicht schuldig".

 

Auf die Darbietungen konnte ich mich trotz des Aufzeichnens konzentrieren, da ich das Handy ohne rein zu schauen rechts vom Kopf auf Augenhöhe einfach Richtung Bühne hielt. Als das Konzert schließlich mit dem Verlassen der Bühne der vier Protagonisten - einer nach dem anderen schritt nach und nach vom Podium - schließlich sein Ende fand, waren mein Bruder und ich uns rasch einig: Das war definitiv etwas ganz Besonderes! 

 

In meiner ganz persönlichen Wertungsskala liegt das KRAFTWERK- Konzert nun auf Platz 1, gemeinsam mit dem Pink Floyd Konzert aus dem Jahr 1989. Dieses haben mein Bruder und ich im damaligen Müngersdorfer Stadion ebenfalls gemeinsam besucht. Seinerzeit waren wir der Meinung, zwar etwas Großartiges erlebt zu haben, aber wohl für die Zukunft "versaut" worden zu sein. Was sollte da denn bitte noch ran reichen? Die Quadrophonie, die uns damals im alten Stadion geboten wurde, galt als unschlagbar. Seit gestern aber sind wir da ein wenig ins Grübeln gekommen, für mich war das mindestens eine Stufe. Gleichstand!

 

Das Fazit dieses Besuchs des Konzerts kann eigentlich jetzt nur lauten: "Was soll jetzt eigentlich noch kommen?"

28.8.2022 - Gute Stunde noch bis zum Beginn des KRAFTWERK Konzerts.
28.8.2022 - Gute Stunde noch bis zum Beginn des KRAFTWERK Konzerts.
Pink Floyd Konzert, Köln 1989 - Stunden vor Beginn ist noch alles leer. Auch damals standen wir nur 30-40 Meter im Innenraum von der Bühne entfernt (Bildquelle: Unbekannt, Netzfund)
Pink Floyd Konzert, Köln 1989 - Stunden vor Beginn ist noch alles leer. Auch damals standen wir nur 30-40 Meter im Innenraum von der Bühne entfernt (Bildquelle: Unbekannt, Netzfund)