Christoph Daum lebt nicht mehr. Der 70-jährige Fußballtrainer starb in der letzten Nacht, und die Nachricht seines Ablebens ließ mich heute Morgen erst einmal
schlucken. Sofort flogen Erinnerungsfetzen an mir vorbei: Die 40 an die Bremer Kabinentür genagelten Tausender, um dort im Meisterkampf als FC endlich zu gewinnen, die Krankenhaus-Pressekonferenz
in Hohenlind, die Trauung des Ehepaars Daum im Mittelkreis des Kölner Stadions, die „Segnung“ von ihm entgegengehaltener Kinder bei seiner Rückkehr zum FC, die ihm den Namen „Messias“
einbrachte.
All diese Erinnerungen sind nur indirekt sportlich. Aber auch der Trainer Daum kam mir in den Sinn, insbesondere seine begeisternde Art und Weise, wie er vor allem
von 1987 bis 1990 teilweise Fußball spielen ließ. Die „blaue Pullover“-Phase, als Lattek zwar das Symbol dazu beitrug, Daum aber der verantwortliche Trainer war. Das legendäre Spiel gegen Roter
Stern Belgrad – damals die wohl beste Mannschaft Europas – welches der FC unter ihm sensationell noch drehte. Dann natürlich das letzte Erreichen eines UEFA-Cup-Halbfinales gegen Juventus Turin
im Mai 1990. Seine Entlassung während der WM 1990 bei einer Pressekonferenz im deutschen Quartier in Erba. Der Aufstieg 2008, als Daum ab dem 28. Spieltag noch einmal zur alten Form aufblühte und
den FC in einem tollen Endspurt in die erste Liga brachte. Der letzte Sieg bei Bayern München am Karnevalssonntag des Jahres 2009 … und noch so viel mehr.
So viele Erinnerungen …
Dieser Sieg bei den Bayern war auch der Auslöser dafür, dass ich kurz danach den „FC-Stammtisch Talk“ ins Leben rief, weil beim „Doppelpass“ nach diesem Spiel quasi
nur Unsinn über den FC geredet wurde. Christoph Daum hat damit ungewollt auch einen Beitrag zu diesem persönlichen Meilenstein geleistet.
Christoph Daum war in jeglicher Hinsicht ein Ausnahmemensch, einer, der auffiel. Jemand, der sicher ein großes Sendungsbewusstsein hatte, aber auch durch unbändigen
Kampfgeist und Ehrgeiz überzeugte. Sein fußballerisches Talent reichte nicht für eine Profikarriere aus, doch der geborene Zwickauer arbeitete sich dennoch als Trainer nach oben. Sogar ganz nach
oben, auch wenn er den deutschen Meistertitel bekanntermaßen nicht mit seinem Herzensclub 1. FC Köln, sondern mit dem VfB Stuttgart holte.
Entlassung beim FC und Rückkehr
Oftmals wünschte man sich in Köln nach seiner Entlassung seine Rückkehr herbei, und 1996 war man bereits sehr nah dran. Doch der FC sorgte sich damals darum, dass
Daum zu viel Machtfülle haben könnte, und so platzte das fast schon sicher geglaubte Engagement. Stattdessen ging Daum nach Leverkusen und formte aus der noch immer darbenden Chemiebrache einen
internationalen Topclub, der beinahe die Meisterschaft holte. Er fiel auch außerhalb des Spielfelds auf, etwa als er mit einem himmelblauen Anzug die Aufmerksamkeit der Beobachter auf sich zog.
Über die spätere „um ein Haar Bundestrainer“-Affäre ist sowieso schon alles gesagt worden.
Daum war der Wunschtraum fast aller FC-Anhänger, und als er 2006 schließlich nach 16 Jahren ans Geißbockheim zurückkehrte, war die Begeisterung in Köln riesig. Doch Daum war kein Messias; auch er konnte aus Ackergäulen keine Rennpferde machen. Generell schien seine Art der Motivation, die sich eng an das Marketing der 90er Jahre anlehnte (Neuro-Linguistisches Programmieren, kurz NLP), etwas aus der Zeit gefallen zu sein. Dennoch blieb er ein außergewöhnlicher Trainer, der wusste, dass die finanziellen Möglichkeiten in Köln nicht ausreichen würden, um seine Wünsche im großen Fußball (Champions League) zu erfüllen. Also trennten sich die Wege wieder, und der in der Türkei aufgrund seiner drei Titel-Erfolge mit Besiktas und Fenerbahce Istanbul (2x) sehr beliebte Trainer kehrte zu eben Fenerbahce zurück.
Der ganz große Erfolg blieb danach aber aus. Nach Fenerbahce stieg er sogar 2011 mit Eintracht Frankfurt ab, wo man ihn kurz vor Saisonende als „Feuerwehrmann“
geholt hatte. Beim FC Brügge wurde er immerhin noch einmal belgischer Vizemeister, bevor seine Engagements bei Bursaspor und der rumänischen Nationalmannschaft eher unbefriedigend
endeten.
Viele Titel – Der sportliche Erfolg steht für sich
Dennoch stehen unter dem Strich fünf nationale Meisterschaften in Deutschland, Österreich und der Türkei sowie zwei Pokalsiege, und natürlich der Aufstieg 2008 mit
dem 1. FC Köln. Niemand kann behaupten, dass Daum nicht für Erfolg stand. Der Mann hat sportlich wahrlich Beeindruckendes geleistet.
Doch wie eingangs erwähnt, sind es nicht nur seine sportlichen Erfolge, sondern auch seine außersportlichen Aktivitäten und Sprüche, die ihn zu einer der
schillerndsten Persönlichkeiten im deutschen Fußball gemacht haben. Die Redeschlacht im „Aktuellen Sportstudio“ mit Heynckes und Hoeneß im Meisterendkampf des Jahres 1989 wurde zurecht legendär
und brachte ihm das Label des „Lautsprechers“ ein.
So war es auch kein Wunder, dass Christoph Daum aufgrund seiner Persönlichkeit in meiner FC-Satire „Neulich im Geißbockheim“ lange Zeit einen Stammplatz neben
Präsident Wolfgang Overath und Co. hatte. Natürlich gab es da auch manch knackigen Spruch, aber schließlich sind es nur die „Großen“, die karikiert werden und somit muss das auch als Auszeichnung
verstanden werden. In meinem dritten „Neulich im Geißbockheim“-Band (History) veröffentlichte ich sogar Auszüge aus dem „Tagebuch des Christoph Daum“.
Ein langes Telefonat, das in Erinnerung bleibt
Diese kleinen satirischen Frechheiten hinderten Daum jedoch nicht daran, aktiv an meinem und Thomas Reinscheids Buch über Maurice Banach mitzuwirken. Schließlich war es Christoph Daum, der Banach nach Köln geholt hatte. Nur seine Entlassung im Sommer 1990 verhinderte, dass Banach auch unter Daum trainieren konnte.
Der Beitrag zum Banach-Buch beinhaltete ein langes Gespräch zwischen mir und der Trainerlegende. Leider konnte es während der Corona-Zeit nicht persönlich geführt
werden, doch das intensive Gespräch am Telefon werde ich in bester Erinnerung behalten. Alleine weil es seine unendliche Leidenschaft und Liebe zum Fußball in aller Deutlichkeit zum Vorschein
brachte.
Legende des kölschen und des deutschen Fußballs
Christoph Daum hat – bei aller Trauer – so vieles hinterlassen, dass sein Tod zwar schmerzt, er aber dennoch zu den Legenden des kölschen und deutschen Fußballs
gezählt werden darf. So vieles wird überdauern, so vieles bleibt unvergessen. In diesem Sinne kann er eigentlich gar nicht wirklich sterben – jedenfalls nicht im Fußball-Umfeld.
Mein herzlichstes und tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie. Sie haben gemeinsam mit ihm gegen die schreckliche Krankheit gekämpft. Auch hier zeigte er sich
als die Kämpfernatur, die er immer war. Das war vorbildlich.
Den Kampf gegen den Krebs hat er zwar verloren. Den Kampf um einen Platz in unseren Erinnerungen und auch in so manchen Herzen jedoch nicht. Da zeigt er sich als
strahlender Sieger.
Der Kampf ist nun vorbei. Nun Ruhe in Frieden, Christoph Daum.
Ein von Christoph Daum geleitetes Training am 2.9.2008